Ein Text von Patrik Berlinger, 20.02.2020
Im laufenden Jahr behandelt das schweizerische Parlament die Botschaft zur Internationalen Zusammenarbeit (IZA) für die kommenden vier Jahre. Das Aussendepartement EDA und das Wirtschaftsdepartement WBF setzen auf wichtige Themen. Dazu gehört die Schaffung von dringend benötigten Verdienstmöglichkeiten und Perspektiven in den ärmsten Ländern, der Kampf gegen die drohende Klimakatastrophe mit ihren absehbaren sozialen Folgen, eine humane und entwicklungsfördernde Steuerung von Migrationsbewegungen im globalen Süden sowie ein entschlossenes Engagement für Frieden und Rechtsstaatlichkeit.
Mit der strategischen Neuausrichtung der schweizerischen Entwicklungshilfe für die Jahre 2021 bis 2024 setzen sich das Aussen- und das Wirtschaftsdepartement hohe Ziele. Umso bedauerlicher ist es, dass sie für humanitäre Hilfe und langfristige Entwicklungszusammenarbeit sowie für friedensfördernde und menschenrechtspolitische Massnahmen auch künftig weniger als 0,5% der schweizerischen Wirtschaftsleistung einsetzen wollen. Es liegt nun am neuen Parlament, diesen Entscheid zu korrigieren.
Gleich aus mehreren Gründen sollte die Schweiz bereit sein, stärker in die Internationale Zusammenarbeit zu investieren. Erstens belegen wissenschaftliche Studien und Erfahrungen in der Praxis, dass Entwicklungszusammenarbeit wirkt. Die weltweiten Entwicklungserfolge der letzten Jahrzehnte sind eindrücklich: Die absolute Armut ist weltweit zurückgegangen, die Kinder- und die Müttersterblichkeit konnten stark gesenkt, die Einschulung von Mädchen deutlich erhöht werden. Der Schlussbericht zur Umsetzung der IZA-Botschaft 2017-2020 legt ausführlich und überzeugend dar, dass auch die Schweiz zu diesen Erfolgen einen Beitrag geleistet hat.
Trotz vieler positiver Entwicklungen bleiben zweitens die weltweiten Bedürfnisse weiterhin riesig. Viele Probleme spitzen sich sogar zu: Sowohl die Klimaveränderung als auch der Verlust von Biodiversität schreiten bedrohlich voran. Noch immer haben 850 Millionen Menschen jeden Tag zu wenig zu essen. Mehr als zwei Milliarden Menschen haben keinen verlässlichen Zugang zu Trinkwasser und die Wasserversorgung wird zunehmend problematisch.
Hinzu kommt, dass in vielen Ländern mit autoritären Regimen die Repression gegen zivilgesellschaftliche Organisationen zunimmt. Überall dort braucht es ein klares Bekenntnis zu grundlegenden Menschenrechten, etwa den Rechten auf freie Meinungsäusserung und Versammlungsfreiheit. Dadurch, dass die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit in schwierigen Kontexten häufig mit lokalen NGOs zusammenarbeitet, trägt sie zum Aufbau eines zivilgesellschaftlichen Gegengewichts bei und stärkt gemeinschaftsbasierte Organisationen, engagierte Frauenrechtlerinnen, Menschenrechtsaktivisten oder freie Journalisten. Und sie stärkt Benachteiligte in ihrer politischen Rolle, so dass sie den erwünschten Wandel hin zu inklusiven, demokratischen Gesellschaften aus eigenen Kräften voranbringen können.
Drittens gewinnt die Entwicklungszusammenarbeit im Zeitalter der Klimakrise nochmals stark an Bedeutung. Sie ist eines der zentralen Instrumente, damit sich die Ärmsten an die verheerenden Folgen der Erderwärmung im Süden anpassen können. Vermehrt braucht es Frühwarnung und Katastrophenschutz, wassersparende Bewässerung und eine klimaangepasste Landwirtschaft, verbesserter Häuserbau und die Wiederherstellung von Küstenhabitaten. Nebst der Anpassung bietet die Entwicklungszusammenarbeit unverzichtbare Ansätze, wenn es darum geht, wirtschaftliche Entwicklung in ärmeren Ländern in eine nachhaltige, also energieeffiziente, emissionsarme und sozial verträgliche Richtung zu lenken.
Entwicklungsländer sind auf Unterstützung angewiesen, damit sie gleichzeitig Armut und Ungleichheit reduzieren und den Übergang zu einer klimaverträglichen Wirtschaft bewerkstelligen können. Im Kampf gegen die drohende Klimakatastrophe und zur Herstellung von globaler Klimagerechtigkeit haben sich die Industrieländer bereits vor Jahren dazu verpflichtet, zusätzlich zu den bestehenden Entwicklungsmitteln neue Klimagelder bereitzustellen. Erhöht die Schweiz ihre Mittel nicht, gehen Klima-Massnahmen immer stärker auf Kosten der bisherigen, eigentlichen Aufgaben der Entwicklungszusammenarbeit. Diese haben zum Ziel, Armut zu reduzieren und Not zu lindern; zum Beispiel die Förderung ländlicher Entwicklung und agrar-ökologischer Landwirtschaft, die Stärkung von Zivilgesellschaft, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Unterstützung angemessener Bildungsmöglichkeiten und von Geschlechtergerechtigkeit oder die Verbesserung einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung.
Angesichts der wiederholten Milliardenüberschüsse in der Bundeskasse gibt es viertens weder einen materiellen Anlass noch einen plausiblen Grund dazu, ausgerechnet bei der Bekämpfung von weltweiter Armut und Ungerechtigkeit und beim Kampf gegen die Migrations- und Klimakrise derart zurückhaltend zu sein. Von 2015 bis 2019 wies der Bund durchschnittlich einen Überschuss von über 2,5 Milliarden Franken pro Jahr aus. Die Schweizer Entwicklungshilfe sollte weniger als eine finanzielle Ausgabe betrachtet werden, sondern vielmehr als eine wirkungsvolle Zukunftsinvestition in eine weltweit friedliche und nachhaltige Entwicklung.
Der vom Bundesrat vorgegebene Zielwert von weniger als 0,5% des Bruttonationaleinkommens (BNE) widerspricht dem international wiederholt gegebenen Versprechen – letztmals im Rahmen der Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung –, die APD (Aide Publique au Développement) auf 0,7% zu erhöhen. Ohne Berücksichtigung der in der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit verbuchten Betreuungskosten für Asylsuchende in der Schweiz fällt die Quote sogar noch tiefer aus. Zwar sind diese Ausgaben notwendig und sinnvoll. Sie tragen aber Nichts zur Entwicklung in den Herkunftsländern dieser Menschen bei.
Kurz und gut: Die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit wirkt und gewinnt angesichts der globalen Herausforderungen – langandauernde Krisen und gewaltsame Vertreibung, Klimaverwüstungen und Naturkatastrophen, Ungerechtigkeit und Hunger – an Bedeutung. Umso mehr sollten wir bereit sein, stärker in die IZA zu investieren. Nachweislich trägt sie dazu bei, dass die Welt ein Stück friedlicher und gerechter, nachhaltiger und zukunftsfähiger wird. Wer würde behaupten, die Schweiz profitiere davon nicht?
Patrik Berlinger ist Leiter der Fachstelle Entwicklungspolitik bei der Caritas Schweiz