Rückblick: Zwei Wochen auf Award-Reise in Bosnien und Herzegowina

Endlich ist es so weit! Drei Jahre ist es her, dass wir von der Sustainability Week Switzerland den youngCaritas-Award und somit eine Reise nach Bosnien und Herzegowina gewonnen haben. Die Freude war gross, doch Covid-19 machte uns einen Strich durch die Rechnung. Anfang Oktober dieses Jahres konnte es dann endlich losgehen: Wir, ein Team von fünf Personen, machten uns auf den Weg nach Bosnien und Herzegowina, um die Projekte von Caritas Schweiz vor Ort zu besichtigen. Mit dem nachfolgenden Rückblick möchten wir euch gerne auf unsere Reise mitnehmen und von unseren Erfahrungen berichten.


Reise und Ankunft in Sarajevo

Per Nachtzug und Bus gelangen wir in über 24h Reise nach Sarajevo. In der Hauptstadt lässt sich einiges über die Geschichte des kleinen Landes erahnen: Bevölkert von drei ethnischen Hauptgruppen leben Menschen mit verschiedenen Religionen nahe beieinander. Wir finden Kirchen neben Moscheen und alle paar Stunden erklingt die Stimme des Muezzins über der Stadt. Schon in den ersten Stunden in der Hauptstadt Bosniens werden die Folgen des noch nicht einmal 30 Jahre zurückliegenden Krieges deutlich: Zahlreiche Fassaden zeigen Einschusslöcher und die Kriegsmuseen erzählen eine traurige Geschichte. Nach einigen Tagen und einem kurzen Briefing im Caritas Büro verlassen wir die Hauptstadt und machen uns zusammen mit unseren Fahrern, Faris und Aldin, auf den Weg in den Nordosten des Landes. Als Bosnier (genauer Bosniaken, also die muslimische Bevölkerung des Landes) werden sie uns noch wertvolle Informationen über das Land und seine Geschichte liefern und uns als Übersetzer helfen.




Die Caritas-Projekte in Bosnien und Herzegowina

Im Laufe der zwei Wochen besichtigen wir sechs verschiedene Caritas-Projekte in verschiedenen Regionen des Landes. Hier ein Überblick:


Projekt für Energieeffizienz und erneuerbare Energien

Am ersten Tag besichtigen wir das Projekt für Energieeffizienz und erneuerbare Energien in Tuzla, der drittgrössten Stadt Bosniens. Ein Grossteil der Energie in Bosnien und Herzegowina stammt aus Kohlekraftwerken und viele Gebäude werden mit Kohle geheizt. Das Primarschulhaus in Tuzla war eines davon. Eine ganze Scheune mit Kohle wurde pro Heizsaison verbrannt und die Schüler:innen waren auf dem Schulhof den Abgasen des Kohleofens ausgesetzt. Dank einer gemeinsamen Initiative von Caritas Schweiz und der Gemeinde Tuzla konnte das Gebäude saniert und der Kohleofen durch eine Wärmepumpe ersetzt werden. Parallel dazu arbeitet die Caritas mit der lokalen technischen Hochschule zusammen und setzt sich dafür ein, dass angehenden Fachkräften bereits während der Ausbildung ein breites Fachwissen und Kompetenzen im Bereich Energieeffizienz und erneuerbare Energien vermittelt werden. Wir hatten die Möglichkeit, die technische Hochschule zu besuchen und uns von der Nachhaltigkeit des Projekts überzeugen zu lassen.



Migrant Drop-in Center und Safe House

Dank seiner wichtigen Position zwischen Westen und Osten durchqueren zahlreiche geflüchtete Menschen das Land. Die Organisation PUZ betreibt ein Drop-In Center sowie ein Safe-House für Geflüchtete. Das Safe-House wird von Caritas Schweiz mitfinanziert, Unterstützung durch die Regierung gibt es leider kaum.  Die Mitarbeitenden von PUZ führen uns durch das Safe-House (einem Durchgangszentrum der Schweiz nicht unähnlich) und erzählen uns von ihrem Alltag.



Soziale Inklusion von Roma und anderen marginalisierten Gruppen

In Bijeljina lebt ein Grossteil der Roma Bevölkerung des Landes. Die Romani Bevölkerung, sozial stark benachteiligt, wohnen in separaten Wohnquartieren und viele von ihnen leben an oder unter der Armutsgrenze. Ausgeschlossen vom ökonomischen Wachstum liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 80%. Zusammen mit der lokalen NGO Otaharin besichtigen wir von Caritas bereitgestellte Wohnungen - und werden zum Kaffee eingeladen. Zur beruflichen und sozialen Integration betreibt die Organisation Otaharin zusätzlich ein Daycare Center für Roma-Kinder sowie das Social Enterprise Agroplan, mit welchem Sie Arbeitsplätze für die Romani Bevölkerung in der Landwirtschaft schaffen. 




Economic Development

Unser nächster Stopp führt uns in eine sowohl geografisch als auch wirtschaftlich abgelegene Region in der Republika Srpska, dem von mehrheitlich bosnischen Serben bewohnten Teil des Landes. Die Städte Rudo und Foça nahe der Grenze zu Serbien und Montenegro leiden unter der massiven Abwanderung der jungen Bevölkerung aufgrund der fehlenden Perspektive. Wir besichtigen zwei lokale Unternehmen, bei welchen dank der Unterstützung durch die Caritas und der Gemeinde neue Arbeitsplätze mit fairen Arbeitsbedingungen geschaffen werden konnten.



Anti-Human-Trafficking activities

Menschenhandel in Europa? Leider gar nicht selten, erklärt uns Abida von der Organisation Novi Put in Mostar. Aufgrund der sehr schlechten wirtschaftlichen Lage im Land, der zunehmenden Armut und Korruption liesse das System dies zu. Menschen, darunter auch Kinder, würden als Arbeitskräfte, für die Prostitution oder Zwangsheirat im Land selber oder in Zentraleuropa ausgebeutet. Die schweren Geschichten sind ziemlich schockierend. Novi put, unterstützt von Caritas Schweiz, kämpft für mehr Aufklärung und bietet Rechtsberatung und Unterstützung für Betroffene.



Innovative Landwirtschaft

Zurück in Sarajevo treffen wir zwei Studierende der Landwirtschafts-Fakultät der Universität Sarajevo. Sie führen uns durch das Areal und zeigen uns die mit Wärmepumpen beheizten Gewächshäuser. Dank der Heizung konnte der Anbau von Gemüse und Früchten trotz kalten Temperaturen ermöglicht und dadurch der Ertrag gesteigert werden. Anschliessend nutzen wir die Gelegenheit, uns mit den Studierenden auszutauschen und ihnen das Konzept der Sustainability Week vorzustellen.



Was nehmen wir mit?

Die zwei Wochen in Bosnien lassen uns nachdenklich zurück. Die Geschichten der Menschen, die wir getroffen haben, sprachen oft von Resignation und Perspektivlosigkeit. Die Erinnerung an den letzten Krieg ist noch allzu präsent. Umso inspirierender waren die Begegnungen mit den Menschen, die sich tagtäglich für die Bevölkerung des Landes einsetzen. Wir sind sehr dankbar für diese Gelegenheit und wünschen ihnen alles Gute! Hvala!




Bericht von Anna Schibli & Marie-Claire Graf (Sustainability Week Switzerland)